Philosophie


Stirbt jemand aus unserer Mitte, so stirbt auch ein Teil von uns.
Je mehr wir den verstorbenen Menschen geliebt haben und noch immer lieben, umso größer ist der Schmerz, und um so größer ist die Kraft, die uns zuteil wird bei seinem Verlust.
Es gilt nun, eine neue Beziehung zum geliebten Verstorbenen zu gewinnen, eine Beziehung, die nicht festhält, sondern die frei lässt.

Trauer geht über Erinnerung.

Was wollte der Verstorbene mit seinem Leben vermitteln?
Welche unausgesprochenen Fragen hat er gelebt?
Was hat ihn geprägt?
Was lebte in seinem Wesen?
Welche Spuren hat er in dieser Welt hinterlassen?
Woran hat er geglaubt?
Was hat ihn innerlich erfüllt und was hat ihn berührt?

Dieses herauszufinden, dazu will ich gerne ermutigen.
Dieses zu benennen, dazu möchte ich meinen Beitrag leisten.
Der Sprachlosigkeit angesichts des Todes verleihe ich durch mein Auftreten eine Stimme.
Zur Erinnerungs-Kultur gehört für mich zunächst einmal das Andenken an die Lebensgeschichte des Verstorbenen mit den wichtigsten Ereignissen des familiären und beruflichen Werdegangs.
Ferner kann es gehen um den Versuch, eine Antwort herauszufinden, worin dieser verstorbene Mensch einen Sinn gesehen hat, was ihn erfüllt hat, woran er geglaubt hat, was ihn angetrieben hat.
Die berührenden und anrührenden Begegnungen im Leben, ebenso die schmerzvollen Ereignisse sind dabei die besonderen Mosaiksteine, die es wert sind, erinnert zu werden.
Diese Erinnerungen tragen die Kraft für eine neue Beziehung zum Verstorbenen in sich.

Literatur-Zitate oder Weisheitssätze aus den großen Welt-Religionen oder namhafter Gelehrter können oft helfen, obige Fragen nach der Sinnhaftigkeit zu beantworten.

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohl an denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
(Hermann Hesse)